Montag, 27. August 2018

NACHTRAG

Es folgt eine Abhandlung über das Gewissen, in der drei Fragen aufgeworfen werden, die den anfangenden ("anfahenden), den zunehmenden ("zu nemenden") und den vollkommenen ("volkummen") Menschen in der "vita spiritualis" betreffen. So wird z. B. in der ersten Frage gefragt, was der schnellste Durchbruch zum vollkommenen Leben sei usw.
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Ich werde für eine Weile auf unserer alten Mittelalterseite "diereichsburg. blogspot" weiterschreiben.
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CGM 447: TRAKTATE JANS VAN LEEUWEN (TEIL 10)

fol. 17 r: Leiden wird als etwas Erstrebenswertes dargestellt: inneres ist besser als äußeres. Das äußere des Herrn hat uns ohne sein Mitleiden wenig geholfen. Ziel ist das "wesenlich an schauen der gothait" (also Wesensschau). Die gutwilligen Menschen wollen Gott durch ihr eigenes Erkennen (Wissen, Glauben) verstehen, was nicht funktioniert ("wollen got mit yr selbsbekantnüß versten und diß mag ie nit (=jemals nicht=niemals) gesein") wann got müsß mit sein selbs verstanden werden" (durch ihn selbst). Gefahr, Schaden zu nehmen: daß "sy dy ding nit als freilichen (=ungebunden; unbekümmert; ohne Hintergedanken (?)) thün und lassen zu der eren gottes als sy solten sünder sich selbs etwas dar ynn zu suchen"; sie tun also die Dinge aus Eigennutz). Christus: "spricht und lert uns das dy link hant nit wissen soll was dy recht hant thüe"; damit ist m. E. einfältiges Handeln gemeint, das nicht seinen Vorteil sucht).
fol. 17 v: "und hye pey versten wir das eyn gaistlich mensch (17 v) soll eynfeltigclichen suchen dy ere gottes yn allen seynen wercken ynwendig und außwendig" (und nicht einen billigen Vorteil). Und zwar soll er dies so tun "also daz er da von on geert und on lon gelobt begert zu sein den Menschen zu gefallen oder gaitlichen begeren von got" (also ohne, daß er geehrt wird, ohne Lohn, ohne den Menschen zu gefallen oder daß er von Gott Lohn haben will). Von diesen drei Dingen kommen alle geistlichen Hindernisse: "seht diß sind drey ding so sunderlich (=besonders) alle gaistlich hinderniß von komen". Man soll sich nur auf die Barmherzigkeit Gottes verlassen ("der sollen wir begeren tag und nacht auff das wir all zeit dymutige verworffne (=elende) knecht gottes seyn und beleiben biß yn den tod".-Die Armen soll man nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich speisen ("es ist nit genugk das ein mensch dy armen außwendigen kon speyßen"), und zwar mit "hymlisch speyß der gnaden gottes dy ewigclichen beleibt".
fol. 18v: Man soll die Seligkeit aller wollen ("und hier an ligt all unß(er) seiligkait". Gottes Erbarmen: "der sich über all menschen erbarmet hat leiplichen und gaistlich".
Explicit: "Noch mer ein grüntfest aller unßer seiligkait und heiligkait ist eyn lautere offene gewissen on alle straffung von tod sunden" (eine Grundfeste (Fundament) der Seligkeit=das saubere offene Gewissen (Einsicht, Erkenntnis dessen, was sich schickt; Bewußtsein, Verständigkeit u. dergl.) ohne Tadel wegen etwaiger Todsünden).---
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FINIS

Freitag, 24. August 2018

CGM 447: TRAKTATE JANS VAN LEEUWEN (TEIL 9)

fol. 15 r:...außer dem, der ihn nicht will. Dennoch gibt Gott allen, auch den Schurken: "und diß ist wol eyn wünder das got doch (durch ?) seyn selbs güt gibt dem pößen geleich als dem guten" (vielleicht um die Mistkerle in trügerische Sicherheit zu wiegen; aber am Ende werden sie auf ihren Knien kriechen und jammern, da ist nämlich (oder wird sein) Heulen und Zähneklappern (fletus et stridor dentium)).-Die "ausfließende" Milde Gottes.-Gott="ein ewiges grund loß gut seyn selbs" (ein ewiges,unermeßliches Gut seiner selbst; definitio): "sehent das mag kayn mensch mit verstentnuß versten noch auch mit seym begreifen" (das kapiert keiner so schnell!).-Wir haben alle Schulden: "wir sind also groß pfand schuldig dy wir nymer mer halb bezalen". Jesus hat die Schuld bezahlt "mit seyner mensch werdung und mit seynem on schuldigen leben". Das sollen wir auch tun "all unßer lebtag". Gegen die "Vorteilsdenker": "sehent eyn zwifeltig mensch der ettwas des seynen sucht es sey wy clain es well yn seynen wercken oder yn seynem leiden sehent der selbig mensch mag nymmmer frumm noch seilig werden" (seht was für ein zweifelhafter, mieser Typ der ist, der etwas von dem Seinen (d.h. seinen kleinen billigen Vorteil) sucht, es sei so klein, wie es wolle (etwas noch so Kleines), seht, derselbe Mensch kann niemals fromm oder selig werden). Und ganz ähnlich: "sehent als vil der mensch sucht seynen aigen
fol. 15 v: gemach on dy ere und lob gottes seht also vil suchet der mensch worlich seyn selbs ungemach und er waisß es selber nicht" (siehe, so viel einer seinen Vorteil sucht ohne die Ehre Gottes und ohne ihn zu loben, so viel sucht er in Wahrheit seinen Nachteil und weiß es nicht einmal). Man soll die Seligkeit aller wollen ("freund und feind nymant aus genomen"). In einem solchen wohne Christus.-Es sei eine Schande ("der stinckenden schand", gen. partitivus), daß Geistliche murren ("leichtlich wider got mürmürieren"). Geistliche, die sich zu sehr um äußere Dinge kümmern, sind schief gewickelt: "so vindt man wol auch gaistliche menschen dy sich zu ser und unordenlich yn wollen keren zw got yn ledikait on wurcken...und maynen darumb eyn schauendes leben zu haben" (die sich zu sehr und auf ungeordnete Weise im Wollen zu Gott kehren in Freiheit (Entledigtsein), ohne etwas zu wirken (aktiv zu tun)...und dann auch noch meinen, sie führten ein beschauendes Leben (vita contemplativa)).-Das sind die "yn dy kirchen" sitzen "unter yr kappen und seind got on urkant do ist wenig nütz an" (die in den Kirchen hocken unter ihren Kapuzen (kappen) und wenig Erkenntnis von Gott haben, daran ist kein Nutzen).-Eingießung der göttlichen Gnade (sofern wir sie innerlich wahrnehmen): "sehent dar eyn geusßet got all zeit on unterlaß (=unablässig) seyn genad wan wir der ynwendig warnemen sind". Davon kommt ein schauendes Leben: "und hyer von dißen zu her (=hierher) kumpt eyn-?-schauendes leben des wenig menschen gewar nemen" (das nur wenige führen (wahrnehmen), weil ihnen die Fähigkeit zum Schauen (zur Contemplatio) fehlt). Doch auf dem Weg dahin gibt es Hindernisse: "wann zu der hohsten heiligkeit zu komen so hinteren euch-?-mynner gute außwendige werck zu thon dann ob yr allen den tag yn der kirchen leget auf ewren (lies: euren) knyen und petet ewre drege pater noster" (lustige Stelle: denn um zur höchsten Heiligkeit zu gelangen, hindern uns -?-, weniger, gute äußere Werke zu tun, als wenn ihr den lieben langen Tag in der Kirche auf den Knien herumgerutscht wärt und eure trägen Vaterunser heruntergeleiert hättet=Zeitverschwendung). Wer glaubt, kein äußerliches gutes Werk tun zu können, "dem menschen ist noch yn der warhait nit recht" (der irrt; liegt falsch; oder hat in Wahrheit keinen Bock!) "und ich gelaub auch nit das er nymmer kain werck thü das got gefellig sey" (der wird wohl auch niemals etwas hinkriegen, was Gott in den Kram paßt (gottgefällig ist)) "wann wurcklich leben ist ser nutz und gut aber schauent leben ist noch pesßer" (denn das wirkende, aktive, somit wirkliche Leben ist seht nützlich und gut, aber das beschauliche Leben ist noch viel, viel besser!) "aber baide mit ein ander geubt das das ayne das ander nit hynter das ist das aller peste" (jedoch beide zusammen ausgeübt, so daß das eine das andere nicht behindere, das ist das Allerbeste) "und das gehört den vol-
fol. 16 v: kumen menschen zu wann wer dy paid üben soll zu eyner zeit dy menschen müsßen volkumenlich zu got gefügt seyn also das yn ynker zu got und ausker umb got geleich sey" (doch dies gehört zu einem vollkommenen Menschen, denn wer beides übt zur gleichen Zeit, solche Menschen müssen vollkommen an Gott "angefügt" sein, so daß Einkehr zu Gott und Auskehr (für sie) gleich sei (gleichermaßen sei). Unterdrückung der Sinnlichkeit: "das ist ser gut das sich der mensch bezwing und seyn fünff außwendig fihlich synn" (gut, wenn sich der Mensch und seine fünf äußeren viehischen Sinne bezwingt). Ohne Einkehr zu Gott und Auskehr zur Arbeit..."so ist es alles verloren": "on mich vermogt ir nichtz zu thon" (ohne mich vermögt (könnt) ihr nichts zu tun).-Die die Martern Christi üben, das sind gut scheinende Menschen: "und das thün wol gut und boß menschen hye ist wenig nütz an" (das tun Gute wie Böse, was liegt daran ?). Denn das vergeht, anders als innere Buße und Mitleiden: "wann das ist langest yn yn (= in ihnen) vergangen aber yr puß yn wendiges mit leiden das er het (=hatte) das mag weder -?- noch nymmer mer vergen" (das kann nicht vergehen).
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CGM 447: TRAKTATE DES JAN VAN LEEUWEN (TEIL 8)

fol 13 r: Solche "humilitas" ist "eyn halbe gaistliche hoffart" (eine halbe geistliche Überheblichkeit, somit nichts wert!). Ein derartiger frommer Heuchler will "das man yn noch mer heylig heisß vor den augen der menschen" (er will also den Schein der Heiligkeit erwecken; ein Scheinheiliger). Doch der Grunddemütige will "das ym alle dy welt laster (?) und schand erbüt" (daß ihn die Welt in den Schmutz zieht und ihn für schändlich hält; "erbüt"=erweise, darreiche; von "erbieten"; ich bin aber nicht ganz sicher!). Dies soll er dann tragen, "dann das er ym selber an tete" (als ob er es sich selbst antäte).-"Wann alle dy schand und laster dy ym der mensch selber an tut do ist sicher wenig nütz an" (was man sich selber antut, daran ist kein Nutzen). Das "aller pest" ist "zu nichten werden yn dy dymütigkait" (durch Demut zunichte werden), "und das mag kain mensch den andern leren dan got allain".-Ein guter Mensch hat  in sich geistlichen Streit und viel Betrübnis: "sehent eyn gut mensch musß haben mangen (=manchen) streit und auch vil yn wendig betrubnüß". Grund: "diß komt all zu mal dar von das des menschen nyderster tail seyner synlichkait geren wolt herschen uber das oberst dail der sele" (das kommt insgesamt davon, daß der niederste Teil der Sinnlichkeit gern herrschen will über den obersten Teil der Seele"; das geht natürlich nicht!).-
fol. 13 v: "...und also müsß ein gut mensch offt betrubt werden wider seynen willen" (ergo muß ein guter Mensch oft betrübt sein entgegen seinem Willen). Grund: "wann fleisch und plut wollen do uber hant nemen yn dem menschen uber den gaist" (das Fleisch und das Blut wollen im Menschen überhand nehmen über den Geist) "und das ist kayn wunder das ein gut mensch unterweilen betrubt wirt" (kein Wunder, daß ein guter Mensch bisweilen betrübt wird).-Die sinnlichen Kräfte ziehen uns hinab: "nyder... zu yrdischen dingen" (=großes Hindernis für die Einkehr und Schaden an der Seele: "aller grost schad der sel"). Wer dieser Einkehr ("ynker") verlustig geht, der verliert mehr in einem "augen plick", "dann ob er da zwischen alles ertrich gewünn" (als ob er dazwischen (inzwischen) alles Erdreich gewönne; schöner Konjunktiv II!). "...und auch me (=mehr als) alles geschrift mit unterschaid (Klarheit, Gabe der Unterscheidung, Auslegung, Erörterung und dergl.) begreifen und lernen künd und auch me das ich alle menschen dy selben künst mit unterschaid künt leren..." (mehr noch, als alle Schriften erfassen und lehren könnten und auch mehr, als ich alle Menschen lehren könnte durch Auslegung (Erörterung; "unterschaid").
fol 14 r: "...und das ich mit der selben ler alle menschen zu hymel precht und das auch ayn mensch alle dy armen speißet dy auf allem ertrich sind" (und daß ich durch dieselbe Lehre alle Menschen in den Himmel bringen könnte (brächte) und daß auch ein Mensch alle Armen speisen würde (könnte), die auf dem Erdreich sind; mehr als all dies würde ein Mensch verlieren, dem die Einkehr abhanden käme). Der Sinn der Schrift: "auff das wir on alle hinternuß ein gaistlich opfer gottes sullen und weren seyn" (daß wir ohne alle Hindernisse ein geistliches Opfer sein sollen und werden).-Die Liebe Gottes, die für kurze Zeit Freiheit bringt.-
14 v: Die Natur kann man zwar bezwingen, aber nicht zunichte machen: "man mag dy natur und alle unordenlich benaigung der natur durch dy gnad gottes wol bezwingen aber nit zunichte machen". Begründung: "wann natur beleibt all zeit natur". Solange der Mensch durch die Gnade Gottes gegen die Sünden streitet und die Natur bezwingt, ist dies keine Todsünde: "wer sy halt beschlossen yn tausent maur...diß mag weder tod sünd seyn also lang (=solange) der mensch yn wendig durch dy gnad gottes streitet wider die sünd" (so far, so good).-Klage über eigene Unvollkommenheit. Je mehr einer gute Werke tut, umso mehr übt er Askese ("so er mer sich yn allen dingen vernichten soll").-
Gott versage niemand etwas...---
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Donnerstag, 23. August 2018

CGM 447: TRAKTATE JANS VAN LEEUWEN (TEIL 7)

fol. 12 r: "wilt du volkumen seyn so verkauf alles (?)"-"Do mog wir mercken wer unßern heren Jhesum Christum volkumenlich nach volgen will beyde ynwendig und außwendig der müsß alles das verkauffen das er hat...als verr (=sofern) er gemercken mag das yn ein ayniges dinck hindert " (daran können wir merken, wer Jesus nachfolgt, sowohl innerlich als auch äußerlich (vgl. engl. both...and), wenn er alles verkauft, was er hat...sofern er merkt, das ihn ein einziges Ding hindert).
So handelten die "aller ermsten menschen des gaistes wy dy sind dy unßerm herren Jhesu Christo nach geuolgt sind nach volkumenhait yrs selbs von ynnen und von außen" (die Ärmsten im Geiste wie diejenigen, die dem Herrn nachgefolgt sind gemäß ihrer inneren und äußeren Vollkommenheit). An dieser Stelle folgen 12 Punkte, die man erfüllen muß, um die "perfectio" zu erlangen:
"dar zw (lies: zu) gehören uns sünderlichen (=insbesondere) xij (=12) stuck zu" (divisio):
1) "das erst ist das er sich ledige von allen zergecklichen dingen auff das wir nymant zw haymlich sind dann got allayn" (man soll sich aller vergänglichen Dinge entledigen, so daß wir niemand vertraulicher (so nahe wie) sind als Gott).
2) "das ander er soll mer an sehen wes er entpern mög dann wes ym not sey" (er soll mehr darauf sehen, was oder wessen er entbehren kann und was ihm nötig sei).
3) "das drit er soll aynfeltigclichen got maynen yn allen seynen wercken on das seyn dar ynnen zw suchen" (er soll einfältig in allen seinen Werken Gott lieben (nach ihm trachten), ohne das Seine (seinen Vorteil) darin zu suchen).
4) "das vierd wann der mensch das seyn nit ersucht denn so mag er -?-und frey seyn vor den augen (12 v) gottes" (wenn der Mensch nicht das Seine sucht (seinen Vorteil), dann kann er -?- und frei sein vor den Augen Gottes).
fol. 12 v:
5) "das funfft wy kön er sey so soll er doch albeg gotliche vorcht haben" (wie kühn er auch sei, so soll er doch jederzeit Gottesfurcht haben).
6) "das sehst er soll sich außwendig nit so dyemütigklich (?) erweisen das er nit ynwendig hoffertig werd" (er soll sich nicht äußerlich allzu demütig zeigen, so daß er nicht davon innerlich hochmütig werde).
7) "das sibend er soll sich selber versmehen" (er soll sich selber verschmähen (verachten).
8) "das acht wan er das geleiden kan und geleich dar ynnen stet das yn ein ander versmecht und verdruck so stet er wol" (wenn er es ertagen kann und sich in der Lage befindet, daß ihn ein anderer verachtet und schlecht behandelt, dann befindet er sich wohl (ist er auf dem rechten Weg)).
9) " das neynd ist wirt dar von bewegt ynwendig so soll er doch außwendig nymant zy erkennen geben noch nit verantwurten" (wird er davon innerlich bewegt, so soll er nach außen hin das niemand merken lassen, noch soll er widersprechen).
10) "das x (=10) ist das er also bereit sey zu beweisen gleich seynem veind als seynem freund wann diß ist ein spiegel von allen tugenten" (er soll Gleiches seinem Feind wie auch seinem Freund erweisen, denn dies ist ein Spiegel der Tugend);-
11) "das xj (11) wer ym ycht misß dann hat das soll er nymer mer zw erkennen geben noch yn worten noch yn wercken noch yn kainen zaichen" (wer ihm etwas Schlechtes getan hat (?), das soll er niemals mehr sich anmerken lassen weder in Worten noch in Werken noch durch Zeichen (Gesten)).
Doch es gibt auch solche: "sehent man vindt wol menschen dy sich selber wol mit außwendigen worten verdrucken und versmehen und sagen das sy arme sünder sindt aber es solt yn ser wee don wer es das es yn eyn ander mensch saget" (also: siehe, man findet wohl Menschen, die sich selbst wohl mit äußeren Worten herabsetzen und verschmähen und sagen, daß sie Arme Sünder sind, aber es würde ihnen weh tun, wenn es so wäre, daß es ihnen ein anderer sagt).-
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CGM 447: TRAKTATE JANS VAN LEEUWEN (TEIL 6)

fol. 11 r: Wer von einer geistlichen Krankheit gesundet ist, auf den muß man besonders aufpassen: "wann es ist sicher grosse not so eyn mensch von eyner grosßen gaistlichen kranckhait das ist von allen seynen sunden gesundt ist worden das man des menschen nun ser war nem von aller hant ungesunter speiß" (...daß man also seiner wahrnehme und ihn von allerhand ungesunder "Speise" bewahrt). Zitat: BIBEL: "als der weiß man spricht" (Sapientia ?). Es folgen nun die sieben Punkte (sozusagen die Kur gegen alle Falschheit): "diß ist dy aller pest ertznei (Arznei) wider (=gegen) all gaistlich kranckhait dy zu uberwinden":
1) "das erst zaichen eyner newen hüt (=Behütung, Bewachung, Fürsorge) do sunderlich (=besonders) eyn gaistlich mensch mit anvahen solt das ist das er seyn hertz abzyehen soll von aller heymlichen wandelung und soll all menschen auff ziehen und sy wissen zu got" (die erste Fürsorge, womit besonders ein Geistlicher anfangen soll, ist, daß er sein Herz abwende ("abziehe") von allem heimlichen Lebenswandel (auch: Lebensart, Handeln, Umgang); er soll alle Menschen zu Gott erheben ("hinaufziehen") und weisen).
2) "das ander das sich eyn gaistlich mensch von allen zeitlichen dingen also entplosßen soll das ym all zeit lieber sey mit geben dann mit nemen" (Punkt zwei ist: daß sich ein geistlicher Mensch von allen vergänglichen Dingen entblößen soll (befreien soll; frei machen soll) und daß es ihm zu jeder Zeit lieber ist zu geben als zu nehmen).
3) "das drit das sich ein gaistlich mensch nit betrub noch erfrewen (lies: erfreuen) soll von zeitlichen gewynne oder verlust" (man soll sich weder wegen Gewinn vergänglicher Dinge erfreuen noch wegen deren Verlust betrüben; da diese nichts zum Seelenheil beitragen).
4) "das vierd eyn gaistlich mensch soll sich nicht unterwinden außwendig ding der er ledig mag seyn" ( er soll nicht äußere Dinge auf sich nehmen; wofür er dann zu sorgen hat; dieser Dinge sei er ledig!).
5) "das funfft ayn gaistlich mensch soll seyn werck thün (lies: tun; tuen ?) freywilligclichen got zu eren on yn wendige geschwerung" (er soll seine Werke tun zur Ehre Gottes, und zwar freiwillig, ohne daß er es als Beschwerung (Last) ansieht).
6) "das sehst ayn gaistlich mensch soll des seynen an kaynen dingen suchen weder an got noch an kayner creatur" (ich verstehe den Satz so: ein spiritueller Mensch soll nach dem Seinen (=seinen Vorteil) bei keinen Dingen, also nirgends, suchen, weder bei Gott noch bei einer Kreatur, also nichts und niemand instrumentalisieren!)
7) "das sibend ist wenn der mensch so zu grund gelassen ist und so dymütig und auch so bloß unter got alßo das er nichtz will und kan erwelen" (wenn er von Grund auf gottergeben ist, demütig und entblößt (nackt), daß er nichts mehr will und wollen ("erwählen") kann (möchte).
That's it: "das sind dy selben menschen dy all zeit an der sel gewynnen und nicht verließen" (das sind die, die immer an der Seele gewinnen und nicht verloren gehen (nichts verlieren, nicht verderben).
Grund: "wan ich sag euch fur wahr das uns kaynes dings mer nottdurftig wer zu der sel hail dann das sich eyn yetzlicher mensch der da lebt auff ertrich mit armüt und mit elenden leiden wol behelffen mocht" (denn ich sage euch, wahrlich, das keine Sache nötiger wäre zum Seelenheil, als daß sich ein jetzt lebender Mensch (?), der auf dem Erdreich lebt, mit Armut und elenden Leiden wohl helfen möchte"; Armut und Elend als eine Art Selbsthilfe, um sich von vergänglichen Dingen zu bewahren). Denn es gibt niemand, der nicht etwas zu leiden hat: "wan es ist nymant (=niemand) auff ertrich so wol auff dem weg ym kam zu weil (=zuweilen, manchmal) etwas zu das er leiden müsß es sey ym lieb oder laid" (denn es gibt niemand auf dem Erdreich, dem es auf dem Weg so wohl ergeht (oder: sowohl auf seinem Weg), ohne daß ihm zuweilen (manchmal) "zukam" (zustieß; auf ihn zu kam), daß er etwas zu leiden habe, sollte es nun ihm lieb oder leid sein).
Schlußfolgerung: "sehent also vil der mensch mer umb gottes willen leidet das seyner natur wider ist also vil ist eyn mensch ermer von gaist denn eyn ander und das ist ym denn verdynlicher dann eynem andern" (seht, je mehr nämlich einer um Gottes willen leidet, was seiner Natur entgegen ist, desto ärmer ist er im Geist (=einfältiger, was ja eine Tugend ist!) als ein anderer, und das ist dann auch noch verdienstlicher, als dies bei anderen der Fall ist!).
Wann ist der Mensch vollkommen: "wiltu wisßen wer eyn volkum(men)er (?) mensch sy oder waß eynem volkummen menschen zu gehört" (zu einem solchen gehört).---Antwort folgt.---
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CGM 447: TRAKTATE JANS VAN LEEUWEN (TEIL 5)

fol. 10 r: Zunächst geht es um den Unterschied ("unterschaid") "zwischen naturlich und uber naturlich eynsprechen gottes" (wahrscheinlich ist dies ein mystischer Begriff, der so etwas wie "Eingebung" bedeutet). Als nächstes um Entlohnung: "und diße menschen der ser vil auff ertrich ist dy all zw mal (=zusammen; ganz und gar) nach aygen widerlon stellen (vgl. nachstellen) dy sind geleich eynem on getrewen (w=u) dyenst knecht" (also es gibt sehr viele auf dem Erdreich die allesamt nach eigener Entlohnung streben; diese gleichen einem untreuen (miesen kleinen) Dienstknecht!- Warnung an alle elenden Dienstknechte!). Die ihren Lohn schon im voraus haben wollen (noch schlimmer!), "diß sind alle zu mal (=insgesamt) ungetrew eygen heurling dy alßo allzeit auff wider lon sehen wan sy suchen das yr yn allen dingen verporgenlich ynwendig und außwendig" (die sind allesamt untreue (korrupte) leibeigene Mietknechte (hur=Miete; vgl. die Heuer), die immer nur alle Zeit auf Lohn (Entgelt) sehen, denn sie suchen das Ihre in allen Dingen in verborgener Weise innerlich und äußerlich). Folge daraus: "und dar umb beleibt yn got fremd und verporgen mit seynen gnaden" (Gott bleibt ihnen verborgen). Der Gedanke wird noch einmal variiert: "wann (?) alle dy sich selbs suchen und maynen yn allen dingen und dyenen got umb wider lon sehent diße zwifaltigen unrayn menschen beleiben all zeit vinster und unerleucht" (diejenigen, die sich immer nur selbst suchen und bei allem nur selbst meinen (=denen es nur um sich geht (!), die in ihrer Verblendung meinen, alles drehe sich nur um sie, was natürlich mitnichten der Fall ist) und Gott nur gegen Entgelt dienen, diese zweifelhaften (zwielichtigen) Typen bleiben immer finster und unerleuchtet!).
fol. 10 v: Repetitio: "sehent was menschen sich selbs maynen und yr über naturlich gemach suchen on got" (seht, was es Menschen gibt, denen es nur um sich geht und die ihren übernatürlichen (jenseitigen (?); oder: unnatürlichen) Vorteil suchen ohne Gott". Die sind "no good": "das seyn all yn wendig gaistlich unkeusch menschen und diße menschen dyenen yn selber auß eygener knechtlicher (ich lese hier) vorcht (?) und auch auß verkerter unordenlich lieb dy sy zu yn (=ihnen) selber haben" (die sind also unrein und dienen aus knechthafter Furcht und aus verkehrter Liebe, die sie zu sich selber haben).-"Sehent ich sag euch fur war das keynerlay lewdt (lies: Leut') auff allen ertrich swerlicher yrren vor den augen gottes dann gaistliche ynwendige unkeusche menschen dy lust haben auf ynwendigen naturlichen valschen verporgen smacken und die auf ynwendig sussigkait rwen (lies: ruhen) on wurcken und on ynwendige aufgeung von lieb zw (lies: zu) got" (seht, ich sage euch, fürwahr, daß keinerlei Leute auf dem ganzen Erdreich schwerer irren (in die Irre gehen) als geistliche, innerlich unreine Menschen, die Lust auf innerliche, natürliche, falsche, heimliche Genüsse haben und es sich sozusagen innerlich bequem machen, ohne daß sie (Gutes) wirken wollen und ohne daß sie  innen in Liebe zu Gott (wie ein Hefeteig) aufgehen; also wachsen). Der Gedanke wird fortgeführt: "wann (=denn) alle dy menschen dye rwen auff ynwendigen smack und yn selber wol geuallen (sic!) von ynnen und yrem versten diße gaistlichen unkeusche menschen dyenen auch vil mer der gaistlichen hoffart dann der leiplichen" (alle die es sich innerlich behaglich (bequem) gemacht haben und sich innerlich selbst gefallen und sich auf ihre Vernunft etwas einbilden, diese Unreinen dienen mehr der geistigen (intellektuellen) Arroganz (Hoffart, Stolz, Überheblichkeit) als der körperlichen (äußeren). Grund: "wann sye achten sich selbs und yr gaistliche werck und yr behendes versten groß über andere menschen das sy dünckt das andre gut willige menschen nichtz nit konnen noch wissen als sy" (die achten nur sich selbst hoch und ihre geistlichen (geistigen) Werke und ihre schnelles (behendes) Verständnis (Auffassungsgabe, Vernunft) über andere Menschen (d.h. sie erheben sich über sie), daß es sie dünkt (daß sie denken), daß andere gutwillige Menschen gar nichts können oder wissen außer sie selbst; hier sollten sich alle eitlen (Pseudo-)Künstler und Intellektuelle angesprochen fühlen und die, die sich für genial halten!). Alle wollen nur Lohn: "sehent der gaistlichen menschen vindet man so vil dy got dyenen umb wider lon aber wenig menschen vind ich dy sich selber konnen lassen yn alle elendigkait und armüt umb gottes willen und umb yr sel seyligkait" (also: nur wenige können von der Selbstsucht lassen und in Elend und Armut leben). Es folgt nun eine Aufzählung von sieben Punkten; "ayner guten gewissen und eynem abgeschaiden menschen gehören sünderlich (en ?) zu siben ynwendig weiß" (einem guten Gewissen und einem abgeschiedenen (zurückgezogenen) Menschen gehören besonders sieben innerliche Weisen (Merkmale) an":...